<Das Meer ruft!>
Von dem Traum am Meer zu leben
und was daran immer noch traumhaft ist
Als ich mit einem einzigen Koffer in Israel strandete, dachte jeder, ich flüchtete in die Wüste. In Wirklichkeit zog ich ans Meer. In einer Küstenstadt zu leben, war zeitlebens ein Traum von mir gewesen. Leben am Wasser schien leichter, sonniger, unbeschwerter als im staubigen Innland. Meerstädte bestachen in meinen Fernweh nicht nur mit weißen Segeln, salziger Luft, Spagetti Calamari und Sundowners, sondern auch mit ihren Bewohnern. Lange Gesichter sieht man selten am Strand.
In Tel Aviv fand meine Liebesgeschichte endlich ihr Happy End. Was hält einen neun Monate ohne traute Kompanie an einem Ort? Man besucht das Meer - jeden Tag. Der Ozean zog mich an wie ein Magnet und Stunden verstrichen in Augenblicken, in denen ich einfach nur dasaß und ins Blaue starrte. Vielleicht hat seine mysteriöse Aura mir den Kopf verdreht. Jedes Problem scheint trügerisch aus der Welt geräumt, kämpft man sich durch den ungestümen Nah-Ost-Verkehr und sieht plötzlich Mare Nostrum am Horizont glitzern. Am Wasser existiert auch Langeweile nicht. Strand und Den alten Mann und das Meer sind alles, was man braucht, um das Gefühl von Monotonie abzuschütteln, denn das Wetter wird gut sein (zumindest von März bis Dezember) und zum Sonnenuntergang trudeln Freunde mit Flaschen(post) ein.
Das Naturell des Telavivers entspricht zweifellos dem des Wassermannes (man findet ihn mit Vorliebe tauchend, segelnd, surfend oder paddelnd vor) und sein Gemüt ist eng mit den Wogen des Ozeans verknüpft - mit nichts aus der Ruhe zu bringen, oder ungezähmt stürmisch. Sein Bisschen Strand musste er sich hart erkämpfen, denn ins Meer treiben, wollen die Araber das jüdische Volk angeblich noch heute. Dank seiner wesenhaften Hartnäckigkeit und oft angezweifelten Vogel-Strauß-Politik genießen Meerblick im heutigen Israel zu 95% Juden. Ein Mensch pro Tag musste für dieses Privileg seit der Staatsgründung sein Leben lassen.
Auch ich habe Gaza und all sein Elend nur 75km von einem Badehandtuch so gut wie vergessen, sobald man all die schönen Nixen zwischen dem Meeresrauschen lachen und schäkern hört, Kinder an Shabbat aus Sandburgen gucken, Iuvenes am Hundestrand ihren Vierbeinern nachjagen, man die Religiösen hinter den Wänden ihrer orthodoxen Badestelle Gebete murmeln hört, die kleine Rentnergesellschaft zur roten Stunde in gestreiften Klappstühlen ihr Grillfest zelebriert und heiter vor sich hin gluckst, oder man bei einem einst versonnenen Strandspaziergang plötzlich einer Horde Nackter gegenüber steht.
Die Meeres-Mentalität ist die eines Seglers, eines Entdeckers. Es muss daran liegen, dass der unkenntliche Horizont Abenteuer verspricht, des Ozeans Weite in einem Neugierde erweckt, weil sie einem nicht wie ein Berg die Sicht versperrt. Die kräftige Meeresbrise schiebt Wolken schneller bei Seite, was vielleicht der Ursprung aller Spontanität und Sorglosigkeit ist. Menschen am Meer tragen Optimismus im Herzen. Irgendwie, irgendwo scheint man immer seinen Anker werfen zu können und wenn nicht, läuft man eben in nächsten Hafen ein.
Dass ich mich am Meer zuhause fühlen würde, hatte ich nie bezweifelt. Bevor aus reinem Bauchgefühl Tel Aviv angesteuert wurde, hatte mich eine höchst kuriose Idee nach Bayern verschifft (als Elbkind!!), wo die Abstinenz von Seenähe, Bootsschuhen und Möwengeschrei mir natürlich sehr zu schaffen machte… Auch meinen Eltern standen mit meinen Umzugsplänen das P in den Augen - weshalb es jetzt ausgerechnet der Nahe Osten sein musste?!!
Selber wünsche ich mir keine Tochter mit Fernweh (aber Karma ist ja bekanntlich 'ne Bi***). Andererseits sollte ich dann auch nicht jedes Jahr mit ihr ans Meer fahren und ihr vermitteln, wie zauberhaft das Leben in Flipflops doch sei. Wo immer man in meinem Elternhaus den Fuß hinsetzt, werden einem selbstgesammelte Muscheln und Sanddollars begegnen (dank dieser Passion meiner Mutter habe ich bereits die größte Seashell Factory Amerikas kennen gelernt…), bereits beim Betreten unseres Grundstückes, fällt einem das große Segelboot im Fenster meines Bruders ins Auge, über unserem Gästeklo zeigt ein Pfeil zum „Beach“ und im Badezimmer erinnert einen das Schild <Beware - Mermaids in the water!> an Anna Maria Island. Allein meinen Eltern kann ich (wie sonst immer) leider nicht die Schuld für meine Israel-Flausen in die Schuhe schieben, doch wäre Wandern statt Segeln bei Familie Zitzewitz Pflichtprogramm gewesen, hätte Mia san mia! mir vielleicht auch keine Beine gemacht. Der Prägung einer Familie mit hauptsächlich Fischen als Sternzeichen ist es daher durchaus zu verdanken, dass mich das Rauschen des Meeres glücklich macht und nicht das Leuten einer Almglocke.
Aber wie lebt es sich nach drei Jahren noch an der See? Nun, zugegeben war ich dieses Jahr noch kein einziges Mal schwimmen. Das Mittelmeer oder die „Wanne voll mit Öl“ (wie es Zeit-Autor J.Pasotti schon 2010 betitelte) hat mich desillusioniert. Zu viele Arztbesuche und Antibiotika liegen hinter mir, als dass ich diesem Gewässer noch seine glitzernde Klarheit abkaufe. Wie arrogant von mir zu denken, nur die Thai müssten umdenken, wenn auch in Tel Aviv die Fische zunehmend Plastik verzehren. Auch wache ich nicht mehr jeden Tag auf und denke „Ich wohne am Meer“. Strandspaziergänge, Drinks in der Marina und das Zischen der Gischt sind zur Gewohnheit geworden - welch Schande! Was bleibt, ist der Blick ins irdisch Blaue, welcher mich bis an mein Lebensende berauschen wird. Was bleibt, ist der nautische Lebensstil und dieses gleißende, weiße Licht, dass sich gegen Abend über Sand und Dünen legt und einen mit seiner simplen Schönheit wieder und wieder ins Gedächtnis ruft, dass es zum Glücklichsein nicht viel braucht.
Fotos: Gloria Zakuto