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Freundschaftsanfrage an mich selbst


Nach jahrelang perfektioniertem Selbstbashing habe ich mit 22 schließlich beschlossen, nett zu mir selbst zu sein.

Eine Abneigung gegen selbstverliebte Menschen hege ich seit ich denken kann. Allein der Gedanke lässt mich erröten, jemand könnte meine Wenigkeit mit Narziss verwechseln, dem törichten Jüngling, der in seinem eigenen Spiegelbild ertrank. Lieber fange ich schon morgens vor dem Spiegel an, meine Statur mit lieblichen Kosenamen wie Wait-Watcher-Wal zu betiteln, oder mich beim Lesen eines schwierigen Textes stetig an meine Haarfarbe (blond) zu erinnern. Abends im Bett fällt mir ausschließlich ein, was ich alles nicht geschafft habe, denn jegliche Errungenschaft ist erledigt nicht mehr der Rede wert, da sie in die Schublade der Selbstverständlichkeit abgeschoben wurde.


Geschlafen hat es sich mit Mantras noch nie wirklich gut; Tag ein Tag aus vorgebetet. Manche halten diese Art von Beschäftigung für eine abgeänderte Version von Selbstmitleid, ein Script der maulenden Myrte oder schlichtweg für ein personifiziertes Luxusproblem. In Vergessenheit gerät zugleich der gute Vorsatz, mit dem alles seinen Anfang nahm. Zu Beginn seines Prozesses rühmt der Selbstbasher sich bekanntlich noch mit jenem Gefallen, den er sich angeblich tut. Ego mit einem - pardon(!) zwei wachsamen Augen im Blick zu behalten, seine Fehler eigenhändig an die Oberfläche zu kehren und mit Hilfe unverblümter Kritik eine Basis der Selbstoptimierung zu schaffen, scheint auf den ersten Blick lobenswert.


Auf den zweiten Blick sieht die Wahrheit jedoch anders aus. Denn worum es im Endeffekt geht, ist sich so klein wie möglich zu machen. Sein eigenes Ich zum Sündenbock des Universums zu küren und mit offenen Armen die Verurteilung seiner selbst zu empfangen. Gott weiß weshalb. Was der Selbstbasher dabei am wenigsten gebrauchen kann, ist Mamâs mehr als gut gemeinte Nur-Mut-alles-wird-gut-Predigt, die ihn im Wahn reiner Selbstaufgabe sowieso nicht erreicht. Zu verdächtig klingen die lieb gemeinten Worte nach Verherrlichung der eigenen Brut, welche tadellos in die Welt gesetzt mit ihrem Gejammer nun auch das eigene Blut verhöhnt und eigentlich doch nur das Beste verdient. Wenn es darum geht, Pubertiere vor Unheil zu schützen, haben Mütter meistens den richtigen Riecher. Doch wie bewahrt man Kinder vor sich selbst?!


"Stell dich jeden Morgen vor den Spiegel, klopf dir selbst auf die Schulter und sag ich bin toll - toll - toll" lautete einer dieser Ratschläge, die man mir als Siebzehnjährige erteilte. Es traf in eine Zeit, in der ich nächtelang keinen Schlaf fand, weil (stell dir vor) die ungewisse Zukunft mich quälte. Schulmüdigkeit, ein Gehirn im Umbau sowie ein Freundeskreis im Wandel führten mir meine Verlorenheit so bildlich vor Augen, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, wie ich jemals auf eigenen Beinen stehen sollte, wenn ich scheinbar noch nicht mal die Oberstufe auf die Reihe bekam. Heute amüsiert mich diese düstere Zukunftsvision, denn wie zum Glück so häufig, hat die Zeit alle Wunden geheilt ... und Mamâ natürlich Recht behalten.

Doch auch in der Erwachsenenwelt begegnen einem die Selbstbasher wieder. Zu Schulzeiten waren sie die „Gleichgesinnten“; Leute, die ebenfalls an sich arbeiteten... Auch weil die Welt sich nur in diejenigen teilte, die sich toll - toll - toll fanden. Oder einfach scheiße.


Generation Prokrastination wurden wir, die Millennials neulich unter anderem von der ZDF-Doku <Generation What? - Wie tickt Europas Jugend> genannt. Im gleichen Atemzug, behauptete die Moderatorin, dass wir positiv in die Zukunft blicken würden. Selbstbasher in den Zwanzigern haben vielleicht keine Angst mehr vorm Erwachsenwerden, doch sie streben auch nicht nach Glück. Lieber pflegen sie ihre kummervolle Komfortzone, in der man nicht auf die Nase fallen kann, da man nicht um eine Beförderungen bittet, oder um ein Date. Stattdessen umgibt man sich mit Menschen, die einem die eigene Mangelhaftigkeit noch bestätigen. Picken sich Partner heraus, die es ihnen wahrscheinlich schriftlich geben, dass man nichts besseres verdient. Sie zählen die Erbsen auf ihrem Teller, weil sie glauben mit nichts als Size Zero zu punkten. Oder aber sie weinen vor dem Fernseher in ihren Eisbecher, weil Dornröschen am Ende doch noch wachgeküsste wurde… im Gegensatz zu ihnen.


<Don’t allow evil into your heart. It will make a home there> lautet ein englisches Sprichwort. Dass man nicht all zu hart mit sich ins Gericht gehen sollte, merkte man meistens dann, wenn man selber jemandem begegnet, der auch die perfide Kunst beherrscht, sich mit nichts als falscher Selbstwahrnehmung zu Grunde zu richten. Und man blickt dieser phänomenalen Person ins Gesicht (in dem Wissen, dass sie auch anderswo großen Respekt erfährt) und kann sich nur wundern, welcher Teufel eigentlich in sie gefahren ist.


Teil der Tragödie ist die Verniedlichung des Problems, da jenes dämliche Gedankenkonstrukt vom (übrigens ebenfalls leidenden) Umfeld nie wirklich verstanden wird. Als eine Art geistige Beschränktheit getraue ich mich es nicht zu bezeichnen, doch ebenso wenig als guten Berater. Es ist nicht nur sinnlos, sich derartig die Zeit zu vertreiben (nach dem Motto: Womit mache ich mir heute das Leben schwer?!), sondern auch einfach nervig! Und während der Basher noch Salz in seine Wunden streut, haben der perfekte Schein, Träume und Motivation zu bröckeln begonnen.


Wenn das Leben mir diesbezüglich einen Spiegel vorhält, muss ich Zähne knirschend immer wieder aufs Neue feststellen, dass ich letztendlich nicht vor mittelmäßigem Aussehen, einer schroffen Persönlichkeit, oder offensichtlicher Inkompetenz zurückschrecke - sondern vor einer Seele, die einer Schlangengrube gleicht. Und es erinnert mich an meine tägliche Wahl, das sprühende Leben zu verkörpern - oder eine Heulsuse.


Darum habe ich beschlossen, mir von nun an ein guter Freund zu sein. Gute Freunde verzeihen gewisse Fehler, sie verurteilen niemanden unnötig scharf. Sie können über kleine Makel hinwegsehen, im besten Fall über sie lachen, weil sie einen Menschen zum Freund haben wollen und keinen Roboter. Sie lieben einen nicht bedingungslos, oder glorifizieren einen mit Schmetterlingen im Bauch. Doch das Ziel ihrer konstruktiven Kritik ist es, den Kumpanen zur unermüdlichen Metamorphose anzuspornen, weil sie einem die Entfaltung aus vollem Herzen gönnen. Einen mit Dreck bewerfen, tun sie ganz bestimmt nicht. Warum höre ich selbst also nicht endlich damit auf?!






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