Krieg & Kuchen
Aleppo ist weit entfernt, tröstet man sich in Europa über die Katastrophe hinweg. Aber was, wenn das Schrecken einen Katzensprung vom Urlaubsresort tobt?! Ein Blick über Syriens Grenze.
Ich „wanderte“ noch zwischen blumigen Pfaden, als jener Donnerschlag mir zu Ohren drang. Zurückgeworfen von den Felsenwänden, schallte das Echo der Explosionen wie eine Naturgewalt über Wiesen und Felder, als ziehe ein gigantisches Unwetter auf. Dennoch blieb es sonnig.
Nirgendwo kann man Israels Natur so sehr genießen wie in den Golanhöhen. Die Luft ist frisch und klar, über weite Felder verstreut grasen braun-weiß gescheckte Kühe, Wasserfälle münden in romantisch bewachsenen Oasen, wilde Tauben brüten in Grotten und schneeweiß erblühen am Wegesrand Mandelbäume. Nur ein paar zerstörte Hütten erinnern noch an ehemalige, syrische Siedlungen, welche nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 und der israelischen Annektierung ins Inland zurückgedrängt wurden. Wäre dem nicht so, hätte man heute hier ISIS auf den Hügeln thronen.
Nach reichlicher Überlegung, lasse ich mich an die Grenze kutschieren. Das Donnern ist lauter geworden. Während das Auto sich zur Hügelspitze schraubt, sehe ich Blauhelme talwärts joggen und am Straßenrand Liegestütze praktizieren. Sie scheinen nicht sonderlich gestresst. Oben angekommen erhasche ich aus dem Augenwinkel schon die Geier, einen Pulk ausländischer Journalisten, welche ihre Kameras in Position gebracht haben und nun auf ein Ereignis lauern. Einen Knall. Noch mehr Rauch und Beben. Aber weshalb bin ich noch mal hier?
Einen kurzen Fußmarsch später erreiche ich das Ziel. Ausgerechnet ein Café. Es besticht mit seinen süßen Kuchen und einer leuchtturmartigen Fensterfront, die einem den Blick zu allen Seiten ermöglicht. Zu seinen Füßen eine museumsartige Aussichtsplattform, welche zum Rundgang zwischen Ferngläsern und Blech-Statuen einlädt. „Very weird!“, gibt ein ergrauter Engländer kopfschüttelnd von sich, der seinem hyperaktiven Dobermann hier die Beine vertreibt. Man wechselt ein paar Worte.
Am Horizont schlägt eine Bombe ein. Von hier aus fasst die graue Rauchwolke, welche sich sofort in den Himmel türmt, vielleicht zehn Zentimeter und dennoch fühlt man die Erschütterung. Mit jedem Tosen scheint mein Herz eine Sekunde auszusetzen. Und trotzdem ist es irgendwie spannend. Liegt es an perverser Neugier, von brutaler Film- und Medienkultur gefüttert? Oder an meinem Berufswunsch, Auslandsjournalistin zu werden? Einen Funken Ahnung, bekomme ich hier, wie es ist, mitten im Geschehen zu sein. Ich betrachte nicht das Werk eines Photographen, ich sehe den Krieg mit eigenen Augen.
Ich laufe zu einem der demolierten Ferngläser und blinzele angestrengt hinein. Nach einer halben Ewigkeit, sehe ich plötzlich eine Ruinenstadt vor mir. Und nach einer Weile Menschen. Sie bewegen sich auf den Dächern halb zerstörter Häuser, Kinder jagen einander spielerisch wie Katze und Maus, kopfbedeckte Frauen hängen Wäsche auf. Strom oder fließend Wasser scheinen illusorisch, betrachtet man ihre Behausung. An die Grenze gedrängt, werden sie eingekesselt sein, sollte der IS sie hier schnappen. Würde Israel die seit 40 Jahren ruhigste Grenzen öffnen? Oder sieht man sich bald in Deutschland?
Schäbig fühlt man sich, wenn man sie in ihrer Not bespitzelt, hier auf der Seite, wo Kuchen gegessen wird. Später soll ich erfahren, dass hier öfters ein Bus mit Asiaten auftaucht und dem Café und seinem Kriegs-Tourismus ins deutsche Fernsehen verholfen hat. Mich könnte man gefühlt gleich mit in den Bus stecken, nur den Kuchen habe ich mir gepaart. Schlecht war einem ohnehin schon.
Meinem Freund lief während seines Militärdiensts 2005 ein Nah-Ost-Experte über den Weg, der in seinem Vortrag auf die Notwendigkeit hinwies, Methoden der Wassergewinnung vom Staat zu fördern. Ein Drittel der israelischen Versorgung stellt heutzutage destilliertes Regen- und Meerwasser dar. „Wenn Nachbarländer in den nächsten zehn Jahren nicht ebenfalls investieren, wird die Bevölkerung Kopf stehen. Es wird knallen“, soll jener Nah-Ost-Experte ihm und seiner Einheit prophezeit haben. Wissenschaftler haben den Klimawandel bereits als Ursprung des Syrien-Konflikts abgetan.
Fest steht jedoch, dass Syriens Regierung nicht investiert hat. Im fruchtbaren Norden angesiedelt, musste sich die al-Assad Familie über Regenmangel auch nie den Kopf zerbrechen. Hier plätschern Flüsse durch moosige Grotten, hier blüht der Wein. Aus dem größtenteils wüstenreichen Landes wehten seither jedoch Sandstürme herüber, die einem selbst im sommerlichsten Tel Aviv die Luft zum Atmen nehmen. Schwangeren und Asthmatikern wird jedes Mal dringend empfohlen, sich der von roten Staub getränkten Luft nicht auszusetzen. <Die syrischen Felder sind über die Jahre ausgedörrt und können jetzt erst recht nicht bewässert werden>, erklärte man mir in Tel Aviv den ockergelben Himmel. Besteht wohlmöglich doch die Möglichkeit, dass der arabische Frühling so viel Zuspruch fand, nachdem Bauern ihre Felder verdorren sahen und bald Damaskus und Aleppo überschwemmten?! Ist das am Ende doch ein Krieg, in dem Wasser eine entscheidende Rolle gespielt hat?!