It's tea time
England belegt nicht jedermanns Platz eins
der Traumziel-Hierarchie. Weshalb das Empire of Coziness jedoch gerade im Winter ein Besuch wert ist, lasst Euch überraschen….
Londons Klima bietet zwischen September und März im Schnitt 15 bis 25 Regentage im Monat. Eben jene vorteilhafte Zeitspanne pickte ich mir vor drei Jahren heraus, um mit Sack und Pack in das lauschige Studenten-Städtchen Oxford aufzubrechen und die dunkelste Zeit des Jahres ausgerechnet in Großbritannien zu verbringen. Lange gezögert hatte ich selbstverständlich nicht, geschweige denn mir Gedanken über bevorstehende Vitamin-D-Mängel gemacht. Doch kaum in der englischen Kultur eingetaucht, musste ich großen Vergnügens feststellen, wie wenig nötig das gewesen wäre.
Die Heimat der Queen ist vieles und momentan samt seiner dickköpfigen Eigenheit vor allem in den Schlagzeilen. <I am sure it’s my fault> bedeutet, dass es eindeutig deine ist. Wer braune Schuhe am Abend, in der Stadt oder nach six o'clock trägt, wird nie zum Club gehören. Das leicht süßliche, milde National-Bier Ale wird lauwarm vom Fass serviert. Ausschließlich Hunden und Pferden werden Emotionen offenbart und wenn jemand wegen seiner zerschlissenen Kordhose aus der Menge sticht, hat man mit großer Sicherheit einen Earl gesichtet - Downton Abbey inkognito. Sie sind schon manchmal eigenartig, die Insulaner. Meinem Vater begegnete bei einem Meeting in London einst eine Weltkarte. GB (Great Britain) war rot eingekreist, gleich neben ROTW. „ROTW?!!!“, erkundigte sich mein Vater verwirrt. Es dauerte nicht lange, bis ein behilflicher Gentleman ihm auf die Sprünge half. Jedes Wort, das er daraufhin über die Lippen brachte, schien den Stolz der gesamten Nation zu verkörpern: „Rest - of - the - world…!“
Nichtsdestotrotz (oder gerade wegen dieser Schrulligkeiten?!) hat England einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen eingenommen. Kein anderes Fleckchen Erden hätte mir die lange Winterzeit, welche ich zum ersten Mal völlig losgelöst im Ausland verbrachte, behaglicher gestalten können. Engländer sind tief mit ihren Traditionen verwurzelt. Traditionen welche sich von Generation zu Generation aus der Not des Dauerregens etablierten und noch heute die Herzen ihrer Patrioten erwärmen. Dabei spielt es nichts zur Sache, ob man alt, oder jung, zugezogen oder eingeboren ist. Hauptsache man mag Tee!
Per Mausklick durch's Königreich
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Pub
Wenn über meiner Heimatperle Hamburg Wolken aufziehen, machen alle lange Gesichter. Schietwetter nennen wir Hanseaten das. In Tante Elisabeths Vereinigtem Königreich spielen Regentropfen nur die Begleitmusik. Eine graue Himmelsdecke und Nieselregen halten einen schließlich nicht davon ab, im White Horse oder Turf Tavern einzufallen und sich an der Bar mit Pimm’s No 1 zu vergnügen. Cider und lauwarmes Ale leisten einem sicherlich auch Gesellschaft, wenn man sich einem feucht-fröhlichen Crawl anschließt und für einen Abend mit leutseligen Chaps von Pub zu Pub zieht.
Die Atmosphäre dieser englischen Amüsierlokale wird von ihrem gemütlichen Flair aus altertümlichen Holztheken, einem knisternden Kaminfeuer, durchgesessenen Ledersesseln, bunt zusammengewürfelten Bücherregalen, knarrenden Holzdielen und Öl-gepinselten Jagd-Szenerien verströmt. Pubs haben eine lange Tradition und sind aus eigener Erfahrung die besten Munter-mach-Pillen gegen winterliche Trübsinnigkeit, denn es scheint zu jeder Stunde des Tages ein stielvolles Wohnzimmer für Jux und Tollerei bereit zu stehen. In manchen der Schankstuben wie dem Eagle and Child, ansässig in der Glückseligen-Enklave Oxford, schrieben Persönlichkeiten wie J.R.R. Tolkien mit dem Hobbit Geschichte und auf ihren Spuren zu wandeln, ist noch heute faszinierend.
Britischer Zeitvertreib
Samstage kamen und gingen in Oxford wie im Flug. Neben Pubs und beschaulichen Nachtclubs wie dem Purple Turtle konnte man sich mit etwas Glück und Hilfe einiger glücklicher Bekanntschaften auch den geheimen Oxford-Aktivitäten widmen. Diese rührten meistens aus den exklusiven College-Kreisen her und bestätigten mit Jazz-Abenden in von Kerzenschein erleuchteten Gewölbekellern das Klischee (gerne auch mal mit einer Charleston-Einlage). Als besonderes Highlight habe ich den Weihnachtsball im Queen’s College in Erinnerung. Hunderte Fackeln erleuchteten damals das viktorianische Palais und ließen hunderte Schatten über dessen goldenen Kalkstein huschen, auf dem Weg zum großen Festsaal, wo man sich in Black Ties und bodenlangen Abendkleidern am Punsch labte und bald darauf munter beim Scottish Dance durch die Reihen hüpfte.
Sonntage im herbstlichen England folgten vielmehr einem immer gleichen Muster - meistens vom Kater verführt. Dem zu folge hegte man an eben diesen <Morgen danach> nur noch eine Absicht: Sich treiben lassen. Das wöchentliche Ritual wurde gegen Vormittag mit dem Sunday Roast eingeläutet. Dabei handelt es sich um das Verspeisen eines gut gefüllten Tellers, kredenzt mit einem gebratenen Stück Fisch oder Fleisch in einem Dialog mit diversen Beilagen und gekrönt von Apfelmus, Pfefferminzsauce oder Gelee. Die Zusammenstellung passte sich nicht nur an die Jahreszeit an, sondern variierte auch von Gasthaus zu Gasthaus. Meistens trommelte man eine Hand voll Freunde zusammen und lernte Dinge wie Schweinshaxen mit Salbei-Zwiebel-Füllung, Pigs in blankets oder Yorkshire-Pudding zu schätzen. Was sich hier nach Bridget Jones blauer Suppe anhört, entpuppte sich in Wahrheit als kleines Festmahl.
Aus der Wärme des Kaminfeuers flüchtete man sich anschließend an die frische Luft und spazierte durch Englands grüne Idylle. Hier, wo Kühe und tausende von Schafen bei Wind und Wetter hinter hölzernen Gattern grasten und man am Horizont die Zuckertürme der Universitäten aus dem Nebel ragen sah, fiel es einem wieder wie Schuppen von den Augen, weshalb England für immer und ewig die Wiege der Romantik sein wird. Bei großer Abenteuerlust würde man sich eines dieser länglichen Tübinger Stocherkähne borgen (im Englischen "Punting") und schaukelte fortan durch die kleinen, geschwungenen Kanäle verwunschener Grafschaften. Doch sobald die Abendröte die Dächer erklommen und die Kälte der Bootsstange die Handschuhe durchfressen hatte, sehnte man sich wieder an den Kamin zurück. Zuhause erwarteten einen allerdings nur zügige Fenster, deshalb ließ man sich gleich vom ersten festlich erleuchteten Schaufenster einer Tee-Stube bezirzen, denn jetzt war es gewöhnlich Zeit für den High-Tea.
High Tea
Englisches Essen hat noch niemanden in den Michelin-Himmel geschossen, aber es gibt einge Dinge, die es sogar zu Ruhm auf dem Festland gebracht haben. Scones zum Beispiel.
"It was a meal that could be eaten when their servants were away or not available, as it was so easy to prepare." (http://www.afternoontea.co.uk)
Es handelt sich (kurz gesagt) um eine Etagere voller Köstlichkeiten, welche zum Afternoon-Tea serviert wird. Auf der untersten Ebene finden sich feine Gurken- und Lachs-Sandwiche ohne Kruste, in der zweiten kann man sich an herrlichen Scones mit Clotted Cream (einer besonders dicken Sahne) und echter Erdbeermarmelade laben. Und last but not least, zu alleroberst: Pralinen und Kuchen. Wenn man das nicht erlebt hat, war man nicht in England. Keine Widerrede.
Evensong
Zur Krönung des Ganzen schleppte man sich wohl genährt zum Evensong. Mich als fromme Kirchgängerin zu bezeichnen, wäre mehr als gelogen. Anders würde mich wohl kaum in jedem Gottesdienst nach ca. zehn Minuten die Frage überkommen, welches Raumschiff mich hier wohl abgeworfen hatte. Doch in England sind die Häuser Gottes irgendwie anders. Vielleicht auf Grund ihrer anglikanischen Bauweisen, welche einen stets geradewegs nach Hogwarts katapultieren. Vielleicht aber auch wegen ihres gemütlichen Gerümpels. Im Gegensatz zu deutschen, oftmals gradlinig schlichten Kirchen, strahlen sie weniger Ehrfurcht aus und verbreiten stattdessen mit roten Flickenteppichen und herumliegenden Büchern eine Spur von Heimeligkeit. Wenn man genauer hinguckt, bekommt man sogar Bundstift- Gekrakel oder Stofftiere zu Gesicht, welche heimlich in den Gemäuer-Nischen hausen. In Oxford findet der Evensong jeden Sonntag um 18:00 Uhr in den beschaulichen College-Kapellen statt und ist (selbst für einen Heiden wie mich) ein wunderschönes Ritual und samt seiner bezaubernden Choräle und einer Hand voll spiritueller Worte eine sehr schöne Art, mit seinem Wochenende abzuschließen.
Sollte einem das ganze Teetrinken irgendwann auf den Geist gehen - keine Panik. England vermittelt einem oft das Gefühl, dass man nur als Royal oder auf der Jagd in seinen Highlands Spaß haben kann, doch wie bei allen Gerüchten ist auch an diesem wenig dran. London ist einfach mit dem Bus zu erreichen und schupst einen mit einzigartigen Museen, hippen Flohmärkten, famosen Konzerten und filmreifen Kaufhäusern mitten ins Leben. Wirklich unromantisch ist England leider Gottes allerdings nur ohne Geld.