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Muss man ein Buch zu Ende lesen?!



Einer Geschichte

nicht bis zum Ende treu zu bleiben, kann viele berechtigte Gründe haben.

Das erste Geschenk, das ich von meinem Freund erhielt, war ein Buch. <Der Schatten des Windes> von Carlos Ruiz Zafón, drei Monate unterwegs in Packpapier, verschifft in Israel, gestrandet in meinem Briefkasten - hach wie romantisch. Als wir uns nach einem Jahr wieder sahen, hatte ich den Wolkenatlas (David Mitchell) für ihn im Gepäck und vor meinen rosarot flimmernden Augen eine Zukunft voller gemeinsamer Leseerlebnisse. Eine weitere Brücke zwischen unseren Herzen schien geschlagen. Drei Jahre später ist mein Freund gerade mal in der Hälfte angelangt.


Anfangs war ich beleidigt. Dass er mit den letzten Seiten jene Erleuchtung erleben würde, welche das Wolkenatlas-Rätsel <Alles ist verbunden> erst entschlüsselt, sah ich nicht mehr kommen. Das war wohl nichts.

Ganz aus der Affäre ziehen, konnte ich mich jedoch nicht. Zu oft war ich selbst in den Strudel der Verzettelung geraten, der einen dazu veranlasste, ein Buch nach dem nächsten (oft auch gleichzeitig) zu beginnen und am Ende mit keinem fertig zu werden. Im Protest arbeitete ich fortan hartnäckig auf die letzte Seite zu, gerade wenn das Buch ein Geschenk gewesen war. Wartet nicht jeder, der in eine Buchhandlung marschiert, um eine Geschichte anschließend in knisterndes Papier zu wickeln, auf Feed-Back?! <Auf den letzten Seiten habe ich geweint - Ich saß im Flugzeug und musste plötzlich feststellen, dass ich lauthals lache und keiner weiß weshalb> Wirkt Bücher-Verschenken durch Rückmeldungen wie diese nicht erst befriedigend?! Um das über die Lippen zu bringen, muss ich das bornierte Buch aber erst mal lesen, das mir da aufgehalst wurde.


Damit war Schluss, als Eine Geschichte von Liebe und Finsternis in mein Bücherregal einzog, ohne dass ich es mir selber ausgesucht hatte. Sein Erschaffer war niemand anderes als Amos Oz, Israels National-Poet. Und obwohl dieser Mann mit nichts als der höchsten Hochachtung gehandelt wird, langweilten mich seine weinerlich melancholischen Memoiren zu Tode. Ich fühlte mich schmerzhaft an den Deutsch-Unterricht meines ehemaligen Gymnasiums erinnert, der einen oft mit den schonungslosen Romanen der Neuzeit traumatisierte hatte. Amos Oz brachte mir immerhin die Erkenntnis, dass ich nicht mehr im Deutsch-Unterricht gefangen bin. Ich kann beileibe selbst entscheiden, wer meinen Geist mit seiner phantasievollen Prosa beflügelt - oder eben nicht.




<Ein halb gelesenes Buch ist wie eine halb beendete Liebesgeschichte>

(David Mitchell)



Nichtsdestotrotz gibt es nichts schlimmeres, als in der falschen Geschichte zu stecken. Dafür hat unsere triviale Gegenwart bestens vorgesorgt, weshalb also sollten wir uns in eine weitere Misere flüchten? So mancher Geschichte wurde bedauerlicher Weise die Macht verliehen, in seinem Leser ungeladene Gefühle zu wecken, besonders wenn er im Elend einer Romanfigur seine eigene Not erkennt und sich dafür eigentlich schämt. Wofür die Quälerei?! Es ist schon tragisch genug, wenn man an langweilige Gesprächspartner gerät, welche einen ohne Punkt und Komma in ihre eigene Odyssee einweihen und man nur aus Höflichkeit den Interessierten gibt. Wie oft sehnte man sich schon, einfach den Deckel zuschlagen und von dannen spazieren zu können? Ein Buch ist wenigstens nicht beleidigt, wenn man ihm das Wort abschneidet.


Weshalb guckt mich der Schinken dann trotzdem vorwurfsvoll vom Nachtisch an, mit der Miene eines pikierten Bekannten, den man nicht zurückgerufen hat? Weil ich versagt habe, sein magisches Ende nie erfahren werde? Hier mache ich besser einen Punkt.

Ein Buch, das mich nicht so sehr in seinen Bann zieht, dass ich Zeit und Raum um mich vergesse, mich nicht mit Haut und Haar in eine andere Welt eintauchen lässt, ist meine Aufmerksamkeit nicht wert und im wahrsten Sinne des Wortes eine Zeitverschwendung.


Daher besser schnell zu anderen Ufern anderer Geschichten!!!


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