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Erwachet!


Als unpolitisch hat man meine Generation oft bezeichnet, doch jetzt ist das Geschrei groß. Sollten die neuen Populisten nicht dennoch Anlass dafür sein, sich an die eigene Nase zu fassen?

Am Abend des 9.11. (ein Datum zum Verwechseln ähnlich mit 9/11…) habe ich mich betrunken - zu etwas anderem schien der Tag nicht fähig. Donald Trump zwinkerte seinem Volke längst geflissentlich aus allen Medien zu und ins Geheim freute er sich wahrscheinlich schon auf eine ausgiebige Twitter-Session. <If someone can’t handle his twitter account, they can’t handle the nuclear codes> hatte Obama sich noch vor ein paar Tagen über ihn mokiert, nachdem Trump der Zugriff von seinem eigenen Kampagnen-Manager verwehrt worden war. Das Lachen ist Obama sicherlich inzwischen vergangen - genau wie vielen von uns. Denn jetzt war dieser Donald John Trump, dessen legendären Haarschopf schon der ein oder andere Witzbold mit den Fasern eines Maiskolben verglich, President der Vereinigten Staaten. Oder kurz gesagt: Der mächtigste Mann der Welt. Eine Witzfigur schien zum Leben erwacht.


„Do you remember the days when someone said <Trump is gonna run for president> and everyone laughed?!“, fragte mich Freundin A. auf ihrem Balkon, wo wir mit ein paar anderen Geschockten seit geraumer Zeit tief ins Glas guckten. Der Tag war lang und qualvoll gewesen, so erschien es mir jedenfalls. Angefangen mit dem schieren Entsetzen, das mir mit dem ersten Blick aufs Handy um sechs Uhr früh kalt den Rücken heruntergelaufen war. Gefolgt von dem lodernden Lauffeuer, das fortan durch alle Medien und soziale Netzwerke peitschte, Entsetzens-Bekundungen auf dem Campus und einer unvergesslichen Diskussion im Vorlesungssaal, angeführt von Frau vom Fach/meiner Professorin Ms. Lavie Yael, der für ihren investigativen Journalismus in den USA unter anderem für ihre Berichterstattung des Iraq-Krieges der Emmy überreicht worden war. „Hands up who’s American“, boxte sie sogleich in die Magengrube. Um die 25 Finger gingen in die Luft. „And who has voted?“ Fünf blieben oben. Ms. Lavie Yael lächelte kummervoll: "You see?!!!“


Im Laufe des Tages setze die Unglaubwürdigkeit ein. War das wirklich passiert? Ein Amerika mit einer Mauer vor Mexico? Von <Yes we can!!!> zu <You can grab them by the pussy!> ?!! Es schien wie ein bizarrer Traum.

Wo ist mein altes Amerika?!!, fragte ich mich mit einem wachenden Kloß im Hals. Auf welchem Pfad befand sich dieser fortschrittliche, coole, demokratische, weltoffene, Zukunftsorientierte sowie innovative Kontinent jetzt, dessen liberale Nation unsere westliche Moral und Werte stets hochgehalten hatte? Das Königreich der unbegrenzten Möglichkeiten, dem auch Deutschland seine Wiederauferstehung verdankt. Nach Außenminister Steinmeiers erster Ansprache war mir endgültig schlecht. Florian Harms hatte es in seinem Video-Kommentar auf Spiegel Online ganz treffend ausgedrückt.


„Wir sind endgültig im Zeitalter der Populisten angekommen.“


Marine Le Pen kommt in Frankreich laut Umfragen auf 27-29 Prozent, deutlich mehr als President Hollande. In Österreich liegt der Rechtspopulist Norbert Hofer (FPÖ) vorne und könnte am 4.12.16 das Rennen um den neuen Bundespräsidenten machen. Ähnlich sieht es in Italien mit den selbst ernannten Trumpisti, in den Niederlande mit der PVV und in Bulgarien mit dem Favoriten Rumen Radev für die Präsidentschaftswahl aus. Laut der Welt sympathisieren Länder wie Tschechien, Polen und ins Besondere Frankreich schön länger mit Nachahmungen à la Brexit.

Dass sich die Stimmung in unserer gemütlich komfortablen Westwelt langsam aber sicher wandelt, habe selbst ich mittlerweile mitbekommen.


Doch Lavie Yeals "You see?!“ ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Hatte sie Gründe, uns durch die Blume als Teil des Problems zu bezeichnen?! Wie politisch bin ich heute (mit einundzwanzig Jahren) überhaupt?

Und wie viel leistete ich überhaupt zur Diskussion bei, außer mich ab und zu vielleicht mal über Trump oder den Brexit zu beklagen?!

Wenn man bedenkt, dass ich noch nie für irgendetwas auf die Straße gegangen bin, fällt die Antwort darauf ernüchternd aus. Es gab viele Themen bei denen ich dachte, irgendetwas läuft hier falsch. Datenschutz, Rentenerhöhungen, Klima-Abkommen, Massentierhaltung - aber mich mal engagiert, ernsthaft für irgendetwas eingesetzt? Pustekuchen! Meinen Hintern aus dem gemütlichen <Es-wird-schon-alles-Wohnzimmer-Konsens> auf die Straße zu bewegen und meine Stimme zu erheben, dafür genügte mein politisches Interesse dann doch nicht.



Aber sind wir dazu überhaupt erzogen worden?



Wenn man bedenkt, dass es Englands Jugend war, die erst gar nicht zur Leave- or Stay-Wahl antanzte, hinterher jedoch am meisten Protest-Geschrei verlauten ließ, empfinde ich die Frage als durchaus diskutabel. Die älteren Generationen charakterisieren unser politisches Desinteresse oft als Arroganz der Jugend, doch waren es nicht gerade sie, die uns irgendwo auch zu Egoisten erzogen?


Wären meine Eltern passionierte Nazi-Anhänger gewesen, hätte mein Tatendrang sicherlich der 68er-Agenda alle Ehre gemacht. Ich bin allerdings kein Kind der 68er-Bewegung, ich bin ein 1994er, geboren in einem Zeitalter, in dem vieles prächtig lief und politische Skandale in Deutschland weitgehend ausblieben.

Einer vom Glück gesegneten Generation gehöre ich an, aufgewachsen in einer wohlig warmen Umgebung, die fern von Krieg und Hunger floriert, erzogen in großbürgerlichen Verhältnissen, verknüpft mit der stetig wachsenden Freiheit des Internets - über was sollte ich mich groß beschweren?! Wir, die unpolitische Jugend, lernte schon im Kindesalter sich im Netz zu bewegen und bald mit den sozialen Plattformen auch sich mannigfaltig selbst zu profilieren. Aus Wir wurde Ich.


Ego überschwemmte fortan sein Datenvolumen mit Selfies, ging seinen eigenen Weg (Partner hin oder her, was uns zur ersten Generation mit der höchsten Single-Rate zwischen 25 und 35 macht) und als Vertreter der breiten Masse konsumiert er seine Nachrichten aus 140 Zeichen-Tweets. Wen wundert es da also noch, dass wir lieber unsere Profilbilder filtern, als uns mit Partei-Programmen auseinanderzusetzen?! Politik, das war etwas für die Gemeinschaft. Heute werden unsere Interessen von Selbstverwirklichung bestimmt.

Jene Ausreden, welche ich hier inbrünstig auftische, gingen reibungslos über die Bühne, so lange die Wogen des Volkes noch mühelos von der CDU, SPD oder CSU geglättet wurden. Wenn uns die Flüchtlingskrise jedoch eins gezeigt hat, dann dass sich auch durch Deutschland inzwischen ein Graben zieht. Das helle und das dunkle Deutschland nannte man das vor einem Jahr und ob AFD-Wähler oder Trump-Anhänger - sie alle werden von der gleichen Angst regiert: Von Ausländern überrollt zu werden, Selbstbestimmung zu verlieren, nicht mehr zu gewinnen.


Deutsche Politik ist beileibe nicht sexy, aber immer erst zu protestieren, wenn es zu spät ist, macht meine Generation auch nicht gerade attraktiv.



Darum erwachtet, wir Digitalisierten!


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