Kreativ im Café
Einen geeigneten Ort zum Schreiben zu finden,
ist gar nicht so einfach. Inspiration findet man en masse allerdings hier:
Im Café.
Seinen Gedanken freien Lauf lassen, kann man selbst an der Bushaltestelle, sie jedoch zu Papier zu bringen, ist eine ganz andere Geschichte. In einen kreativen Fluss gelangen die wenigsten sogar in den eigenen vier Wänden. Hier guckt einen vorwurfsvoll aus der Ecke der Wäscheberg an, dort wirft einem der Kühlschrank verlockende Blicke zu und wenn dann auch noch die Sonne hämisch zum Fenster herein blinzelt, ist der Budenkoller nicht weit.
Cornelia Funke beispielsweise zog mit gespitzten Bleistiften in ihr eigenes Schreibhaus, das im Garten ihres L.A. Domizils steht und ebenso gut von Elfen und Zwergen bewohnt sein könnte. Ein solches prangt zufälliger Weise auf meiner Wunschliste ganz oben, bis es jedoch so weit ist, muss ich mir wohl eine andere Zuflucht suchen. Die Bibliothek? Zu kahl! Am Fluss unter einer Trauerweide? Zu kitschig! Ehe dass ich mich versehe, ziehe ich erneut in die poetischen Gefilde eines auserwählten Cafés und fühle mich - voilà - schon ganz literarisch.
Das ist genau der Sinn und Zweck der Sache. Ein Zuckerschlecken ist Schreiben nämlich nur selten. Einsamkeit überkommt einen gerne dann, wenn die Worte einem nur holprig aus dem Handgelenk geschüttelt kommen und die Selbstzweifel nagen nicht gnädiger an den schönsten Ideen, da im Endeffekt niemand weiß, ob man gelesen und gefeiert werden wird - oder eben nicht. Aus einer heiklen Zukunftsvision wie der rettet man sich nur, wenn man es wie Hemingway, Dorothy Parker oder Fitzgerald hält und sich (furchtbar wichtig) im Kaffee-Haus auf die Lauer legt. Nach Geschichten.
Eine zarte Chopin-Sonate säuselt im Hintergrund, das Klappern von Kaffeetassen und Gesprächsfetzen murmelm einem beifällig ins Ohr, während sich die eigene Fabel, Wort für Wort, an die Oberfläche windet. Hebt man nur den Blick von der Tinte, springen einem Geistesblitze buchstäblich ins Gesicht. Es mag seltsam klingen, doch Schauplätze wie Restaurants oder Cafés laden einem zum Spähen doch geradezu ein, oder nicht?! Der kleine Pekinese, der von seinem alt aristokratischen Herrchen mit Leclairs versorgt wird, der Herr mit der Regenfrisur, dessen Espresso nicht heiß genug ist. Die frisch verblümten Jugendlichen, die nur Augen für einander, bloß keinen Pfennig für den gelangweilten Kellner übrig haben. In jeder Ecke scheint eine andere Geschichte zu liegen, die bloß darauf wartet, gepflückt zu werden. Carpe diem - nutze den Tag. Die Sinne versüßen die saftigen Tarts und Torten in der akribisch glänzenden Vitrine, der Duft von heiß gekochter Schokolade segelt durch die Luft, Sahnewipfel spiegeln sich in Silbertabletts, draußen schlagen schwere Regentropfen auf die Fenstersimse.
Round Table, so nannten es die sagenhaften Schriftsteller, Kritiker, Schauspieler oder andere Intellektuelle der 20er, oder auch den Vicious Circle, wenn sie sich zum Austausch ihrer höheren Gedanken im feinen New Yorker Algonquin trafen und dabei ihren Lunch zu sich nahmen. Ab und an würde Hemingway eine schauderhafte Kriegs-Anekdote zum Besten geben, oder Scott Fitzgerald seiner leicht umnachteten Zelda den dritten Cocktail vom Munde stehlen. Jene Treffen spiegeln das Lebenselixier der Kolumnistin und Vorgängerin Carrie Bradshaw's wieder, Dorothy Parkers mit Namen, die nie ein Blatt vor dem Mund nahm. "Noch ein Martini und ich liege unter dem Gastgeber".
Und plötzlich ist man ein Teil von ihnen. Man flaniert hier im Café mit seinem Milchschaum in der Tasse und seinen Worten im Gepäck und schreibt seine Novelle. Fern von jeder Alltags-Aggression. Man sorgt nur dafür, dass der eine oder andere Leser sich eines Tages aus seiner grauen Wirklichkeit in eben diese Geschichte flüchtet, die man einst zwischen Zuckerwürfeln und Kuchenkrümeln niederschrieb.