Die heilige Intoleranz
Hitzige Zeiten in Israel. Nicht nur 40 Grad haben das Land in die Zange genommen, sondern auch das radikale Fieber. Ein Versuch zu verstehen, weshalb der alte Fluch das jüdische Volk ausgerechnet in ihrem heiß ersehnten Königreich wieder einholte und sie dem Rassismus bis heute nicht entkamen.
Es ist doch ein altes Spiel - Du bist nicht wie wir, also grenzen wir dich aus. Zu Zeiten des Nationalsozialismus reichten jüdische Wurzeln und die falsche Nasenkrümmung schon aus, um ins Getto abgeschoben zu werden und mit dem Lauf der Zeit einen Freifahrschein in den Tod zu erhalten. Nie werde ich vergessen, wie Margot Friedlander aus New York anreiste, um im Musiksaal meines alten Gymnasiums ihre Erlebnisse als Entkommene zu schildern. „Ich mache Euch keinen Vorwurf!“, sagte da diese zierliche, feine alte Dame, deren Lebensmut selbst den snobistischsten Schüler bannte, „doch Ihr wisst nicht, wie schnell ein System sich ändern kann!“
Wo Berlin samt seiner liberalen, weltoffenen Quirligkeit in den 20ern eine der besten Lebensplätze für Juden widergespiegelt hatte, wurde es zehn Jahre später von den Braunen haltlos überrollt und mit Hilfe von Hass und teuflischer Intelligenz in ein dunkles Barbaren-Reich gestürzt. So mussten es erst zu Deportationen, Vernichtungslagern und schließlich Krieg kommen, bis das ursprünglich kultivierte Europa aus dem Alptraum erwachte. Am Ende des langen, dunklen Tunnels namens Holocaust flackerte einzig der Hoffnungsschimmer, dass man seine Lehre daraus ziehen würde. Hitlers Rassenhass hatte nicht gesiegt. Im Gegenteil, sein fanatisches Streben nach einem Judenfreiem Deutschen Reich erzeugte den ersten jüdischen Staat der Geschichte. Pech gehabt.
Doch damit ist das Märchen nicht zu Ende. Und so lebten sie glücklich und zufrieden bis in alle Ewigkeit, hallt in aller israelischer Ohren nach wie ein schlechter Witz. 67 Jahre ist es nun her, dass David Ben Gurion am 14. Mai 1948 unter fraglichen Umstände jenen Staat inmitten einer bewohnten Wüste ausrief und viele Wunden sind seitdem nicht verheilt. Nein, sie reißen sogar immer mehr auf und entblößen eine traurige Wahrheit: Der Traum eines friedlichen Zusammenlebens inmitten von Palästinensern und Juden ist geplatzt.
Heute mag man überheblich denken „Was wart Ihr auch so blöd, Euch mitten in die arabische Welt zu setzen und auf die Bibel zu pochen. Dachtet Ihr wirklich, dieser Kulturen-Aufprall geht gut??!“ Vergessen wird dabei jedoch, dass die Juden von Europa die Nase gestrichen voll hatten - verständlicher Weise. Doch selbst Amerika (das Land der Träume…) sah sich nicht imstande, all jene traumatisierten KZ-Überlebenden aufzunehmen. Außerdem wäre kein Mythos stark genug gewesen, die Juden aus jedem Erdteil in einen neuen Staat zu locken, wie der der Bibel.
Dafür in Kauf nahmen sie einen problematischen Kompromiss, nämlich den Konflikt mit denjenigen, die „ihr“ Heiliges Land schon bewohnten. Die Palästinenser. Mit der Shoa (Holocaust/ im Volksmund Katastrophe, Unglück, Unheil) hatten die nichts am Hut und trotzdem wehrten sie sich seit 1882 gegen die wachsende, jüdische Immigration mit Händen und Füßen. Drei Mal sagten sie Nein zu einer Zwei-Staaten-Lösun (erstmals 1947, anschließend 1948 und nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967), doch was ihnen daraufhin blühte, ist im Grunde nichts anderes als der Umkehrschluss der Juden-Exklusion. Wie es in den Wald hineinruft, so schallt es auch heraus.
Selbst heute ist es für manche Palästinenser noch schwer, mit ihrem arabischen Namen eine Wohnungen zu finden. Manches hat sich zwar gebessert, doch vieles verschlechtert sich vehement. Zwar kann sich inzwischen weit aus mehr als nur ein einzelner Palästinenser an einer jüdischen Universitäten einschreiben, doch die Drecksarbeit erledigen sie meistens trotzdem noch. Entweder, sie haben einen israelischen Pass erhalten und fühlen sich zwischen den Welten zerrissen. Oder aber sie leben hinter Mauern, sowie von Israel’s Defense Forces sekündlich überwacht. 300 000 ihrer Volksgenossen mussten fliehen, wer blieb, landete meistens in Gaza oder Westjordanland. Tägliche Gefechte, radikale Hausdurchsuchungen und Verschleppungen rebellischer Palästinensern haben ihre blutige Spur hinterlassen. Wer mit Steinen wirft, muss fürchten, einem Terroristen-Verhör zum Opfer zu fallen. Dorther kehrte so mancher schon mit einem blauen Augen zurück. Durch die starken Restriktionen der israelischen Regierung herrschen in diesen Gebieten vorwiegend Armut, Arbeitslosigkeit und Verdruss. Stellt sich die Frage, ob hier etwa neue Gettos entstanden sind??!
Doch nicht nur auf die Araber hat man ein ärgerliches Augen geworfen, auch bezüglich der Hautfarbe scheinen gravierende Unterschiede in der israelischen Gesellschaft gemacht zu werden. Teilen lässt sich seine Meer-Stadt Tel Aviv zum Beispiel längst in einen weißen Norden (vorwiegend wegen der weißen Bauhaus-Viertel) und einem schwarzen Süden (Dank seiner neuen Immigranten). Doch wirklich glücklich scheint damit keiner zu sein, weder die Hell-, noch die Dunkelhäutigen!
Als ich mich diesen Mai ins Zentrum Tel Avivs aufmachte, blieb mein Bus in einem heillosen Verkehrs-Chaos stecken. Der Grund dafür waren die Demonstration der Flüchtlinge aus Eritrea und dem Sudan gewesen, welche sich noch den lieben langen Tag protestwütig auf die Straßen werfen würden. „Sie fühlen sich benachteiligt und diskriminiert!“, teilte mir meine Sitznachbarin mit und samt einem Schulterzucken fügte sie mit großem Bedauern hinzu, „auch wenn sie Juden sind - sie gehören nicht zu uns...!"
Nicht anders erging es den Sepharden (Juden, die zuvor hauptsächlich über das Ostmanische Reich und Nordwestafrika verteilt waren) sowie den Jemeniten, welche 1949-1950 mit der Delegation Magic Carpet nach Israel eingeflogen wurden. Doch statt des besseren Lebens erwarteten sie hier überfüllte Flüchtlingslager, besser gesagt unmenschliche Verhältnisse. Viele Jahre fristeten sie dort, denn die Arbeitsplätze hatte man längst an die europäisch geprägten Aschkenasi vergeben. Heutzutage ist der Wandel langsam spürbar, doch noch immer werden die höheren Posten überwiegend von weißen Juden besetzt. Ein anderes Kapitel wären all die gestohlenen Jemeniten-Kinder, welche in großen Zahlen spurlos aus den Flüchtlingslagern verschwanden und mit großer Wahrscheinlichkeit in wohlhabenderen Familien unterkamen. Doch von diesem Zündstoff lässt man in Israel lieber die Finger, aus Angst eine neue Debatte zu entfachen.
Sie alle kamen nach Palästina, um den "jüdischen Traum" zu leben. Und dennoch fragt man sich hier oft, ob auch alle an einem Strang ziehen. Eine Folge dessen, wenn man Anhänger der selben Religion zum ersten mal in der Geschichte als Volk bezeichnete. Würde man das gleiche Experiment mit Christen wagen, würden im Staat Jesu immer noch Italienern, Spanier, Schweden, Franzosen, Amerikaner, Deutsche und so weiter und so fort leben. Keine Mentalität würde sich automatisch der anderen angleichen, nur weil man zum selben Herrgott betet.
Selbst bei dieser Praxis trennt sich im Heiligen Land allerdings die Streu vom Weizen, denn beten tun die einen den lieben langen Tag - oder gar nicht. Mehr und mehr tun sich hier die Gräben zwischen der neuen und der alten Welt auf. Die Ultra-Orthodoxen bekommen im Schnitt acht Kinder, die Männer haben Gott als Vorgesetzten und verrichten ihren Job, indem sie den ganzen Tag zu ihm beten. Folglich leben sie vom Staat, vor der modernen Welt verstecken sie sich meistens in orthodoxen Städten und kleiden sich der Zunft entsprechend. Auf der anderen Seite steht die Moderne Israels, die unzähligen Start-ups, der Militärdienst, Familien mit zwei Vollzeitbeschäftigten, Atheismus, Sex vor der Ehe, Mode und anderes sündhaftes Vergnügen.
Man lebt in verschiedenen Schubladen, Berührungspunkte gibt es höchst selten. Die einen verstehen nicht, weshalb man Rabbis bestechen muss, um heiraten zu dürfen und außerdem mit seinen Steuern zusätzlich das Leben der Religiösen zu tragen hat. Die anderen nenn sich selbst <die von Gott „Erwählten“> und verurteilen still und heimlich diejenigen, die dem Herrn nicht ihr Leben widmen. Erst neulich sah man beide Welten in Jerusalem aufeinanderprallen, als ein Ultra-Orthodoxer mit einem Messer sechs Teilnehmer einer Gay-Parade niederstach. Hinterher lautete seine
Rechtfertigung, die Homos hätte die Heilige Stadt geschändet.
Es ist sehr einfach, diesen offensichtlichen Rassismus in Israel zu verdammen. Es ist auch einfach, eine großherzig liberale Person zu sein, wenn man im sicheren Deutschland unter Gleichgesinnten lebt und sich die Welt in rosaroten Farben ausmalt. Rassismus war nicht nur ein Problem von Juden und Nazis, es stellt eines der größten Steine im Weg der Menschheit dar. Wir lieben es schlicht und einfach, uns nach Hautfarbe, Religion, Nationalität, gesellschaftlichem Status, politischen Idealen und vielem mehr zu gruppieren und uns mit unseren Vorurteilen gegenseitig das Leben schwer zu machen.
Auch wenn diese durchaus menschlich sind. Schon in der Steinzeit war ein Rudel-Mitglied besser dran, wenn es besser früher als später einen Eindringling oder Fremden identifizierte und Alarm schlug. Meistens lauerte dort nämlich die Gefahr. Dass sich ein einziger Maximalpigmentierter in einer Schar Weißer seltsam vorkommt und andersherum, hängt daher nicht automatisch mit Fremdenhass zusammen, sondern auch mit unseren Urinstinkten. In einer Welt, in der man jedoch immer internationaler gepolt ist, mal eben von seinem Job nach Singapur versetzt wird, oder schnell nach Südamerika skypt, hat man mit einer intoleranten Hinterwelts-Mentalität schnell verloren. Besonders zu Zeiten der höchsten Einwanderungswelle der Geschichte heißt es Stärke zu zeigen und sich nicht von simpler Ausländer-Feindlichkeit verleiten zu lassen.
Darauf legte in Israel zuerst niemand großen Wert; besser gesagt, konnte sich darauf anfangs niemand konzentrieren. Zu rau waren die Zeiten und ständigen Konflikte mit der Nachbarschaft, zu tief die Narben des Holocaust, zu klein das Land für so verschiedene Kulturen und Mentalitäten, um schnell auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Ausgerechnet im gelobten Israel, dem besungenen Himmelreich für alle Verfolgten und Geknechteten - ausgerechnet hier keimt jene Drachensaat des Rassenhasses wieder auf. Man kann sich nun entscheiden, ob man die israelische Bevölkerung forsch und ahnungslos dafür verurteilt, oder ihr Beispiel als Lehre nimmt.
Wo in Deutschland momentan die Akzeptanz für Immigranten rapide abnimmt, Flüchtlingsheime brennen und Neonazis neue Präsenz wittern, müssen sich beide Seiten zusammenraufen. In Tel Aviv (mit seinem weißen Norden und schwarzen Süden) ist dieser Prozess bisher noch nicht eingetreten, doch spürt man dessen Folgen deutlich. Einerseits können sich die afrikanischen Einwanderer nicht über ihre Ausgrenzung beschweren, wenn sie in ihren Vierteln die Kriminalität massiv steigern, Frauen auf Grund von Vergewaltigungs-Gefahr sich nachts nicht mehr alleine auf der Straße bewegen können und den Gebrauch von Mülltonnen als überflüssig ansehen - wenn sie in Zivilisation leben möchten, müssen sie sich auch dementsprechend verhalten. Andererseits sollten gerade die Juden anhand ihrer Geschichte wissen, wie es sich anfühlt, am Rande der Gesellschaft zu leben. Anstatt ihnen horrende Mieten abzuknüpfen und eine neue Form der Apartheid zu errichten, müssen sie den Afrikanern mit mehr Vertrauen und Verständnis begegnen, ihnen bessere Eingliederungschancen bieten und sich nicht mit „intellektueller Arroganz“ von ihnen abwenden.
Auch eine Zweistaaten-Lösung ist für Israel langsam überfällig, denn wer sich demokratischer Staat nennt, kann nicht gleichzeitig die Hälfte seiner eigenen Bevölkerung unterdrücken. Wiederum wäre es von den Palästinensern schlauer, Israel nun endlich anzuerkennen, Straßen nicht nach Juden-Mördern zu benennen und zurückgegebene (ehemalige) Urlaubsgebiete wie Gaza nicht unter eigener Herrschaft in korrupte Löwengruben zu verwandeln und aus Geldmangel Kriege anzuzetteln.
Als Deutsche sollten wir uns jedoch besonders eine Frage stellen, und zwar ob weniger nicht doch mehr ist?! Es mag zwar wie eine wunderbare Bilderbuch-Geschichte klingen, von dem ehemaligen Dritten Reich, das jetzt der ganzen Welt ein Zuhause bietet. Auch wenn wir am kinderärmsten sind und Arbeitskräfte bald händeringend benötigen werden - wir schaffen es schlicht und einfach nicht ganz Afrika, Syrien und obendrein die Balkan-Staaten mit durchzufüttern. Ein Flüchtlingskind kostet den Staat/die Steuerzahler im Monat 3000 Euro, da es eine Schutz bietende Unterkunft, psychologische Betreuung, eine Schulbildung und Verpflegung dringend und zweifellos benötigt. Außerdem sollen gerade Kinder und Jugendliche besondern intensiv betreut werden, damit ihnen die Tür zu einer glücklichen Zukunft offen steht - sie eben nicht am Rande der Gesellschaft enden. Je mehr Menschen, wir diesen Traum versprechen, desto unrealistischer wird es, ihn in die Tat umzusetzen. Anstatt mehr und mehr Zelt-Städte zu errichten, schmutzige Verhandlungen mit Eritrea zu führen (um den Ansturm auf Europa intern zu stoppen) und den Menschen (die sich in Nussschalen über das Mittelmeer kämpfen) hohle Versprechungen zu machen (da man sie eh in zwei Jahren wieder abschiebt) muss ein anderes Rezept her als „Komme wer wolle!“. Denn je mehr die Kommunen überfordert werden, desto mehr sinkt die Akzeptanz deutscher Staatsbürger, desto mehr sinken die Chancen, zu einer Gesellschaft zusammenzuwachsen.