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Rettet das Tagebuch!

Tagebücher

sind so eine Sache für sich. Blickt man nach vielen Jahren hinein, erkennt man sich oft nicht wieder. Wer sich nicht zu Tode schämen möchte, sollte all seine Kreativität zusammen nehmen und die persönlichste aller Welten in ein Kunstwerk verwandeln.

Liebesdramen, das gestorbene Haustier, oder die blöden Eltern - was auch immer einen in seinen Jugend-Qualen veranlasste, zum Stift zu greifen - meistens kann man eine Weile später nur den Kopf dadrüber schütteln. Das ist eigentlich ein Dilemma, denn ich selbst bin der festen Überzeugung, dass es keine bessere Art der Selbst-Therapie gibt, als sich seinen Kummer von der Seele zu schreiben. Ist es erst einmal in Worte gefasst, kommt jener wütende Gedankensturm oftmals zur Ruhe und man schließt auf beruhigende Art und Weise mit was auch immer ab. Doch woran liegt es, dass man sich beim Lesen seiner Memoiren schon mit ein wenig mehr Lebenserfahrung oft in Grund und Boden schämt? An seiner schnulzigen, oder gar hassgeprägten Jugendsprachen? Oder einem Mangel an neutraler Selbsteinschätzung, die einem auf Grund ihrer naiven und egozentrischen Weltansicht Magenschmerzen bereitet?


Making a journal your proud of! preist das Blogger-Wunderkind Tavi Gevinson Tagebuch-Hilfspakete in ihrem zweiten ROOKIE YEAR BOOK an. Sie selbst legte in ihrer Rede für die australische Künstler-Platform Ideas of the house unter dem Motto Tavis World sämtliche Notiz-, wie Tagebücher frei und gewährte ihren Fans äußerst persönliche Einblicke - in ihre Schnipsel-Collagen. Als ich eben die bei Youtube erblickte, müssen meine Augen geleuchtet haben, wie zehn Weihnachtsbäume zusammen. Mit nichts anderem hatte auch ich meine Kindheit/Jugend verbracht und niemand anderes als Tavi Gevinson teilte also mein heiß geliebtes Schreibtisch-Hobby!!! Zugegeben, bringt mir das herzlich wenig. Aber diese kleine Person, deren Kreativität so unendlich scheint wie die bunte Palette ihrer Haartöne, hatte sich so eben als meine Seelenschwester entpuppt - alles klar?! Schon sah ich uns beide an einem regnerischen Donnerstag-Nachmittag auf dem Fußboden sitzen, Taylor Swift hören (deren größerer Fan eindeutig Tavi ist..!), Zeitschriften wälzen und Bildchen zu neuen Mustern zusammenkleben. Folglich existieren in beiden meiner Tagebüchern (im roten Samteinband und goldenen Lettern) hunderte Gesichter. Ausgenommen meinem eigenen.


Die Pubertät ist bekanntlich das Alter, in dem man das eigene Spiegelbild als plumpen Troll, mehr noch als ein seltsames Zusammenspiel unproportionaler Glieder und einem Gefühlschaos als Kopf wahrnimmt. Eigentlich schade, dass man sich so verkennt, denn laut Wissenschaft geht es ab fünfundzwanzig ja schon wieder bergab... Die Pubertät ist jedoch auch die produktivste Annalen-Schreibphase, denn alles um einen herum ist irgendwie neu und verlangt Erklärung. Kein Wunder, dass man sich in Zeiten wie diesen lieber in Zeitschriften und deren perfekten Welten flüchtet. Hier ein paar makellose Visagen, dort ein perfekt gestyltes Apartment, oder der Kopf eines Adonis, inmitten einem Meer von Veilchen. Was auch immer in die Fänge meiner Schere geriet, gab mir die Möglichkeit, mir meine eigene Vergangenheit zu kleben.



Die bunten Collagen sind heute der einzige Grund, weshalb ich ab und an noch gerne mein Tagebuch aufschlage. Als Zeugen der damaligen Mode und Photographie erzählen auch sie eine Geschichte, nämlich die meiner damaligen Tag-Träume. Ob ich nun kitschig rosarote Wolken, oder wütende Stiere verarbeitete, all diese Details sprechen für sich. Und ohne es groß in Worte fassen, oder diesen Seiten mein Innerstes anvertrauen zu müssen, erinnere ich mich bei ihrem Anblick erstaunlich präzise an meine derzeitige Gefühlslage.


Tavi Gevinson hat aus unserem geliebten Bildchen-Hobby ein Business gemacht. Wenn sie nicht gerade mit dem Geben von Interviews, Halten von Ted-Talks, ersten Auftritten am Broadway und Herausgeben ihres Rookie Magazins schwer beschäftigt ist, entwirft sie noch immer wie wild Collagen und sei es für die Cover ihrer Rookie Year Books. Ihr origineller Klebe-Stil hat sich längst in der Modewelt etabliert, die ehemalige Bedroom-Bloggerin Tavi Gevinson zur weltberühmten fashion icon entfaltet. Doch manchmal muss es auch schön gewesen sein, noch Kind sein und auf seinem Bett Zeitschriften durchforsten zu dürfen. Oder die spannenden Erlebnisse der Schulzeit in wirklich spannende Romane umzuschreiben.


Meiner Meinung nach ist Tagebuch-Kunst die beste Medizin, die man gegen das Fremdschämen anwenden kann. Denn auch wenn es niemand anderes als man selbst war, der dort wehmütige Gedichte, oder grauenvolle Verteufelungen fabrizierte - die selbe Person ist man beim Finden seines alten Tagebuches oft nicht mehr. Außerdem ist es ein gutes Mittelchen gegen Neugierde, denn vielleicht lenkt es den einen oder anderen Detektiv (der ungefragt seine Nase in jene persönlichen Angelegenheiten steckt) wenigstens ein kleines wenig von den großen Geheimnissen ab.

Hätte Bridget Jones anstatt über ihren charmanten Verehrer Mr. Darcy zu schreiben "He acts like he's got a giant gherkin thrust up his backside!", vielleicht eher ein lustiges kleines collé geklebt, hätte dies ihm womöglich sogar ein Lächeln entlockt und Bridget hätte ihm darauf vielleicht auch nicht in ihrer Leoparden-Unterhose durch den Schnee nachlaufen müssen.


Ich möchte gar nicht wissen, wie viele mühselig verfassten Selbst-Biographien täglich zerrissen, in die Tonne getreten, oder in Badewannen ertränkt werden. Eine viel bessere Idee wäre es doch, sich auf seine alten Tage mit der besten Freundin, einem Stück Torte und einer Flasche Sekt auf den Balkon zu setzen und sich an seinen alten Kamellen wortwörtlich totzulachen. Dafür schreibe ich Tagebuch, so wie es mir für den Augenblick richtig erscheint. Und damit es nicht langweilig wird, klebe ich in der Zwischenzeit Collagen - mittlerweile aber mit Hilfe meines Handys und einem kolossal tollen Programm namens Moldiv. Mein Zimmer drohte bei meinem Auszug an Bildmaterial nämlich schier überzuquellen; meine Mutter nannte es nur trocken <einen Messi-Tick>... Vielleicht wird aus diesem "Problem" ja irgendwann mein Beruf. Wünschenswert wäre es, denn langweilig wird mir dabei nie. Was letztes Mal dabei herauskam? Ein Hut von Blaubeertorte, Blütenduft und ein paar Hundeaugen.


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