Süßes aus Nah-Ost
Wenn es eine Zutat gibt,
die einen in Israel um den Verstand bringt,
ist es Halva.
Eine Naschkatze bin ich eigentlich nicht. Als ich von meiner Grundschullehrerin in der zweiten Klasse weisgemacht bekam, wie viel Zucker wir ohne Wissen zu uns nehmen, ließ ich fort an die Finger von Süßigkeiten. Das erregte Besorgnis, besonders bei den pummeligen Freundinnen meiner Mutter, die sie fortan warnten, ich leide an frühkindlicher Magersucht. Zugegeben, ein wenig seltsam war es schon, die einzige Achtjährige weit und breit zu sein, die sich nicht auf den Geburtstagskuchen stürzte. Doch ich hatte mich selbst von einer äußerst lästigen Abhängigkeit befreit, meiner Zuckersucht. Ich glaube, scanne man mein Gehirn, während ich einen Zuckerwürfel lutsche, man würde die selbe Reaktion entdecken, die eine Spritze ihrem Junkie zufügt. Denn kaum erfährt meinem Gaumen Süßes, bin ich auf der Nadel. Ich kann nicht eher aufhören, bis die ganze Tafel Schokolade aufgegessen ist und selbst wenn ich mich in ihrer Anwesenheit mit jemandem unterhalte, schreit der Schokoladenmann in mir "MEHR!!!". Dick war ich zwar nie, trotzdem machte ich einen Schlussstrich und nach wenigen Wochen schienen altbekannte Leckerbissen wie Kekse, Kuchen und Haribo aus meinem Gedächtnis radiert - ich vermisste nichts.
Bis zur Pubertät blieb meine Jugend zuckerfrei. Es folgten ein paar sündhafte Jahre, heute pendele ich mich irgendwo in der Mitte ein. Zwar sehne ich manchmal mein altes Durchhaltevermögen zurück, doch seit ich in Israel lebe und in den Genuss seiner feinen Süßspeisen gekommen bin, ist dieses Vorhaben hoffnungslos. Zu verführerisch sind all seine kleinen Bäckerein, aus denen frisch gebackene Tarts duften. Zu himmlisch schmecken seine mit Mohn und Datteln gefüllten Hamantaschen, zu sehr verführen Desserts wie Malabi (süßer Pudding aus Mandelmilch und Rosenwasser), oder jenes Schokoladenbrot namens Babka.
Das erste, was jedem Ausländer zu Israels Süßwahren in den Sinn kommt, sind wahrscheinlich die wohl bekannten, klebrigen Baklava. Doch in Sirup ausgekocht und Zuckerwasser eingelegt, isst man sich an den Blätterteig-Bissen (den Nomadenvölker Anatoliens entsprungen) mit Pistazien-, Walnuss-, oder Mandelfüllung schnell über.
Viel köstlicher ist hingegen Halva, eine Sesam-Süßigkeit. Auch wenn sie einem in Deutschland als Türkischer Honig oder Weißer Nugat ein Begriff ist, ist Halva mit seinen indischen, iranischen und zentral-asiatischen Wurzeln eher in Griechenland, Osteuropa und dem Nahen Osten verbreitet. Seine Zutaten lassen sich an einer Hand abzählen, denn jene zähe Masse setzt sich aus einem Mix aus Sesam, Zucker, Grieß/Mehl und Honig zusammen. Für Aroma sorgen Safran und Rosenwasser. In orientalischen und slawischen Ländern verputzte man es meistens in kleinen Würfeln zum Tee, wobei sich schwarzer, oder frischer Pfefferminztee empfehlen.
Kaufen lässt sich Halva (das H spricht man wie ein scharfes CH aus) am besten auf dem Markt. Hier preisen es die Händler in Formen so groß wie Käseleiber an und haben es meistens noch mit Nüssen, Schokolade, Vanille, Pistazien und Kakao verfeinert. An die industrielle Herstellung gerät man im Supermarkt. Und leider lauern in diesen Varianten die Zusatzstoffe, was das Zeug hält. Geschweige der künstlichen Aromen wie Ethylvanillin und Glukose-Sirup als Honigersatz und der raffinierte Zucker, die hier im Grunde nichts zu suchen haben. Zähne und Taille können bei Halva nichts als aufheulen, doch wenn man es aus landwirtschaftlicher Herstellung isst, kann man sich guten Gewissens wenigstens an die kleinen Mengen von Vitamin-B, Mineral- und Ballaststoffen und nicht zu vergessen den niedrigen Fettgehalt erinnern.
Anstellen kann man mit Halva allerdings eine ganze Menge! In Griechenland rührt man es zum Beispiel äußerst gerne in Grießpudding, oder serviert es mit Möhren und Meeresfrüchten im Ofen gebacken. Selbst gekostet, habe ich in Israel bisher nur Eiscreme, Torten und Tiramisu mit Halva-Krönung. In Tel Aviv sind der Carmel und der Levinsky Markt jedenfalls eine gute Adresse. Wer sich die Nationalspezialität im Restaurant (wie auch immer verarbeitet) nicht entgehen lassen will, fragt den Koch!