Israels Flintenweiber
Die Emanzipation
brachte Israels Frauen an die Front. Von der Kluft zwischen Verantwortung und Verabscheuung und dem Kampf um die Weiblichkeit.
Auf den ersten Blick reibt man sich verwundert die Augen. Tragen diese reizenden Damen dort wirklich Maschinengewehre? Und das am Strand?? Vor meiner Ankunft in Israel hätte ich diese Abbildung für einen humorvollen Irrtum gehalten, heute betrachte ich sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Gedacht hätte ich es nie, aber ich habe mich an die Präsenz des weiblichen Militärs gewöhnt. Das ist nicht verwunderlich, denn im öffentlichen Leben begegnen sie einem auf Schritt und Tritt. Ob sie nun mit ihrer Flinte in Cafés flanieren, oder in Shoppingmalles nach der neusten Bademode jagen - an jeder Straßenecke sieht man ihre Uniformen aufblitzen und nicht zu selten stehst Du in der Schlange hinter einer Kalashnikov an.
"Deine Waffe ist in dieser Zeit dein Baby", lautete einst der Kommentar einer Freundin. Baby?! Befremdlicher hätte ich diesen Kosename für eine Killermaschine nicht empfinden können. Wie kann man denn den Inbegriff von neuem Leben mit einer Knarre verwechseln?! Das ganze Rollenspiel noch einmal überdacht, stellte ich bedauerlicher Weise doch ein paar Gemeinsamkeiten zwischen Mamás und Waffenweibs Aufsichtspflicht fest: Sein Gewehr sollte man in keinem Fall aus den Augen lassen, denn ohne Aufsicht kann sich Tragisches ereignen. Tag und Nacht trägt man Verantwortung, mit Munition hat man hat es zu füttern, mit großer Vorsicht sauber zu halten und ständig hängt es an deinem Arm. Der kleine, aber feine Unterschied ist nicht nur, dass ein Baby Leben bringt und eine Waffe Leben nimmt. Doch diese Ansicht herrscht nicht in Israel (jedenfalls nicht weitgehend). Gerechtfertigt wird die Existenz IDF's (Israel Defense Forces) doch erst mit dem Argument, dass allein das Militär erst ein friedliches Leben aller Juden im heiligen Land sowie im Nahen Osten ermöglicht.
Darüber lässt sich bekanntlich (seit Jahrzehnten) streiten. Fakt ist, Mädchen haben mit 18 Jahren eine allgemeine Wehrpflicht anzutreten, die zwei Jahre andauert und verschiedene Laufbahnen bereit halt. Ob Air Force, Marine, Bodenstreitkräfte, oder Intelligence - zwischen Mann und Frau wird nicht unterschieden. Beiden Geschlechtern drohen bei Verweigerung Nachteile im späteren Berufswettbewerb sowie gesellschaftliche Ächtung. Wenn sie nicht einer orthodoxen Familie angehört, hat Frau das Land zu beschützen. Ohne wenn und aber.
Und ein Zuckerschlecken ist das nicht. Fern von Familie und Privatsphäre spielt sich eine zweite Schulkarriere für Israelinnen ab, in der es vor allem eines zu lernen gilt: Stark zu sein! Im Zweifelsfall dem Feind gegenüber zu stehen und abzudrücken. Einen Terrorangriff abzuwehren (und sei es, dass man dafür ein Kind tötet), Grenzen zu verteidigen, bei 40 Grad Celsius Sommertemperatur schlammverschmiert durch die Wüste zu pirschen und siebenstündige Gewaltmarsche hinzulegen. Sich so lange von einem (im Grunde ebenbürtigen) Befehlshaber anbrüllen zu lassen, bis man eines Tages selbst eine Legation herumkommandieren darf. Kein Programm, von dem Madame als zweijährige Dauerbeschäftigung träumt!
Fragt sich, wie sich das bei der fraulichen Weiblichkeit auswirkt. Inwiefern unterscheiden sich nach einer derartigen Gehirnwäsche die israelischen Frauen von europäischen?! Fällt mir selbst ein Gewehr auf die Füße, bekomme ich nichts als Fluchtgedanken! Weder verspüre ich Lust auf eine Schießerei, Panzer-Tour, noch möchte ich gerne Nachtwächter an der Gaza-Grenze spielen. Von Natur aus halte ich mich lieber zurück, als mich ins Gefecht zu stürzen. Ein Irrtum wäre es zu glauben, dass es Mädchen in Israel anders ginge. Wo all die vorherigen Generationen es noch als Ehre betrachtet hatten, dem "geschenkten" Land zu dienen, stellen die Jugendlichen von heute viel mehr in Frage. Die stagnierenden Verhandlungen mit den Palästinensern und zunehmend internationale Kritik haben ihre Zweifel nur noch mehr befeuert.
"Israeli sind und bleiben eine posttraumatisierte Gesellschaft!", erklärte man mir anfangs nicht zu selten. Damit spielt man auch auf das allgemeine Verhaltensmuster an, der Israeli als Sinnbild eines Kaktus: Von außen stachelig, doch von innen süß. Nicht anders verhält es sich mit dem nationalen Frauenbild, so oft von ihren eigenen Landesleuten als härter, wenn nicht sogar aggressiver dargestellt. Auch ich habe mich anfangs gewundert, wie selten man ein Lächeln geschenkt bekommt, oder wie überflüssig "Tut mir Leid!" ihnen im täglichen Gebrauch erscheint. "Europäerinnen ist das Feminine geblieben - unsere Frauen profilieren sich durch ihre Vehemenz...!"
"Du sollst dich von mir fernhalten", sagte sie und lächelte. "Ich hab dir ja gesagt, dass ich kein guter Mensch bin. Ich hab abartige Sachen getan." Selbst verkatert und übermüdet war er noch ein pfiffiges Kerlchen und konnte sich denken, was sie meinte. "Du meinst mit den Leuten am Checkpoint?", fragte er. Sie nickte. "Das gilt für alle, die da stationiert waren. Das liegt nicht an dir. Das liegt an dieser Scheißarmee, die versaut jeden", sagte er. "Du hast keine Ahnung, was ich getan habe", sagte sie. "Das ist mir auch völlig egal", sagte er. "Es ändert nichts. Selbst wenn du einem Opa in die Eier getreten hast, ist mir das egal." Ron war sauer und angewidert – von der Stadt, von diesem Land, von allem, was Lea so zum Weinen gebracht hatte. Das war falsch. Es war immer falsch gewesen, dieser ganze siebzig Jahre währende Krieg. Noch nie war ihm das so klar gewesen.
Shani Boianjiu: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst
Blättert man durch Shani Boianjius preisgekrönten Debüt-Roman, schlägt einem eine bleierne Trostlosigkeit entgegen. Mit ihren eindrucksvollen Schilderungen von nächtlichen Streifzügen, Gasmaskentraining, täglicher Schikane an Grenzposten wie sexuellen Sehnsüchten verarbeitet die heute 27jährige Israelin mit irakischen und rumänischen Wurzeln ihren eigenen Wehrdienst. In den USA wurde sie dafür als erste ihrer Altersklasse unter die 5 of 35 der National Book Foundation gewählt, anschließend studierte sie Literatur in Harvard. Von Verantwortung ist dort die Rede, die niemand ohne Lebenserfahrung zu tragen weiß. Von grenzenloser Langeweile, welche die Grausamen kreativ werden lässt. Von der schlichten Überforderung an der Front, sowie die seelische Zerrüttung jedes einzelnen, der anschließend auf freien Fuß ins Leben gesetzt wird. Mit seinen Träumen, Vorhaben und Selbstverwirklichungsplänen kommt man hier nicht weiter - man stumpft ab.
What doesn't kill you makes you stronger nimmt sich zum Lebensmotto ein jede Ex-Soldatin, in der irgendwo noch die toughe Kämpfernatur schlummern wird - für immer. Kernig sind sie, die israelischen Frauen, nirgendwo anders habe ich so viel Feminismus in der Luft gespürt wie in Israel. Doch hart im Nehmen muss man hier auch sein, da scheint das Militär fast noch die beste Schule zu sein. Denn auch wenn man zu fürchten hatte, sein Bruder, Freund, oder man selbst könnte im Kriegszustand zur Frontline befohlen werden, hinterlassen nach dem Militärdienst abgesehen von Demut auch Ordnung, Fleiß, Teamgeist und Durchsetzungsvermögen ihre Spuren - wenn man nicht zwei Jahre täglich Pässe zu kontrollieren hatte... Die Wahl zwischen einem Vollzeitjob und Familie besteht oftmals erst gar nicht, meistens muss beides unter einen Hut gebracht werden. Und geheiratet wird am liebsten früh, weil das Mahnmal 30 den Israelinnen viel tiefer im Nacken hängt als deutschen Damen beispielweise.
Früh mussten sie sich eine dicke Haut zulegen und früh lockt es sie nach gewonnener Freiheit dennoch, das eigene Nest zu erbauen. Denn auch wenn die israelische Frauenbewegung fortschrittlich denkt, verhält man sich bezüglich Familienplanung äußerst traditionell. Und wo jede Europäerin gründlich darüber nachdenken würde, wie viele Kinder sie denn nun in dieses (ständig angefeindete) Land setzten wollte (nicht zu vergessen zukünftiger Wasserknappheit, Erdbeben, Privatschulen bis hin zu einer möglichen ISIS-Konfrontation), drücken die Frauen Israels ein Auge zu. 2,89 Kinder (Stand 2013, mir persönlich erscheint der Trend Richtung 4 zu gehen!) werden hier durchschnittlich pro jüdische Familie geboren. Das Doppelte einer deutschen (1,38 statistisches Bundesamt Stand 2012).
Als ich in Tel Aviv strandete, erschienen mir die blutjungen Frauen in ihren Uniformen, grobschlächtigen Stiefeln und Abzeichen auf der Brust wie Menschen vom Mond. Vielleicht auch deshalb, weil ich mir neben ihnen wie eine verwöhnte Zuckerpuppe vorkam. Hatte ich eben noch in München neben Louis Vouitton Koffern in der Uni gesessen, (aus denen noch die Chihuahuas kläfften), schlug einem seitens der Israelinnen von Anfang an eine solide Bodenständigkeit entgegen. Und je mehr ich ins Gespräch kam, desto mehr versickerten die empfundenen Barrikaden. Zweifelsohne teilen sie die gleichen Sorgen (was mal aus ihnen werden wird), zerbrechen sie sich die Köpfe über Männer, oder versuchen sich ihr eigenes Leben aufzubauen wie jedes andere 18-, 19-, 20jährige Mädchen des Westens auch. Doch was ihnen schnell verloren gehen bzw. ausgetrieben wird, ist das unbefreite Lebensgefühl, das einen in Europa noch in die Welt hinaus treibt. In Israel's Defense Forces sitzt man hingegen fest und wenn sich um eins nicht gekümmert wird, dann das Individuum.
Die Sinnlosigkeit, ist es, die viele Soldatinnen quält, denn der Krieg wird weiter andauern - mit oder ohne ihnen. Doch geteiltes Leid ist auch halbes Leid, wie man so blöd sagt. Hat man nicht gerade einen ungünstigen Augenblick abgepasst hat, muss es sich wie ein raues College-Leben anfühlen, mit seinen Altersgenossen in den Kasernen zu hausen und über sandige Felder zu robben. Die Waffe stets parat, wie sich versteht. So lange einem nicht Dinge widerfahren, die einen nie wieder loslassen. Stolz tragen sie ihren Status vor sich her, die starken Amazonen des Heiligen Landes - wenn auch wie ein Schutzschild.