Plötzlich Prinzessin
Märchenhafte Schneiderkunst durfte man auch dieses Jahr wieder bei den Haute Couture Schauen in Paris bewundern. Fragt sich, wie viel Prinzessin darf man denn heute überhaupt noch sein?!
So schnell wie jetzt die New York Fashion Week anrückte, waren die Pariser Modetage schon wieder vorbei. Einen größeren Eindruck haben sie trotzdem hinterlassen, wohlmöglich weil die Zahl der traditionsreichen Präsentanten weitaus kleiner und die erlesene Kundschaft durchaus exklusiver ausfiel, so hebt sich die Haute Couture als Creme de la Creme der Mode doch in jeglicher Hinsicht vom gewöhnlichen Zeitstil ab. Ebenso was die Phantasie betrifft, denn die Frage Wann soll ich das denn tragen?! wird von der Ideenvielfalt jener Meisterwerke schlicht weg übertönt. Wer sich Kleider in durchaus fantastischen Preislagen (das Modehaus Dior hat schon mal das ein oder andere Kleid für 200.000 Euro im Repertoire) leisten kann, der wird schon die Gelegenheit finden, um sich in Samt und Seide zu hüllen. Zu schmücken wie .... ja, eine Königin?!
Bei Dolce & Gabana gab es diese Saison neben Goldbestickten Umhängen auch noch das passende Krönchen dazu; in gleicher Weise experimentierte das Designer-Duo Maria Grazia Chiuri und Pierpaolo Piccioli für seine Valentiono-Kollektion mit hoheitlichen Farben wie Schnitten, welche nicht nur einer anderen Epoche, sondern gleich einer Kleidertruhe der Brüder Grimm entsprungen scheinen. Der Mann, der den Frauen jeher die pure Eleganz auf den Körper schneiderte (niemand anderes als Giorgio Armani wie sich versteht), watete mit schimmerndem Königsblau, glänzenden Seidenstoffen und kunstvollen Stickereien auf. Es benötigt einer Frau weder Schmuck, noch aufwendiger Turm-Frisur, um in seinen diesjährigen Abendkleidern wie ein Edelstein zu funkeln - Cinderella wäre begeistert. Nicht fehlen dürfen in dieser Reihe augenscheinlich die verträumten Roben aus dem Morgenland, hinter denen niemand anderes als der libanesische Schneidermeister Elie Saab steht. Die aufwendigen Perlenverarbeitungen und Elfenhaft schwingenden Seidenröcke haben sich zwar schon länger als dessen Markenzeichen etabliert, im Vergleich zu anderen Kollektionen fiel die diesjährige jedoch zweifellos höchst romantisch, nahezu lieblich pompös aus.
Schaut man sich all die sagenhaften Roben an, gerät man zweifellos ins Träumen. Stellt sich bloß die Frage, ob ein handgeschneidertes Kleid in Tausenderhöhe (für vermutlich einen einzigen Anlass) überhaupt in irgendeiner Relation steht. Seltsamer Weise haben wir die Angewohnheit, für die karge Alltagskluft in preisgekrönte Billig-Butiken wie H&M zu rennen, das Hochzeitskleid jedoch einen kleines Vermögen kosten zu lassen. Wann zieht man das ein zweites Mal an? Achja... nie.
Einmal schneite eine Hochzeitsgesellschaft in das für seine Törtchen legendäre Hamburger Café Schmidt, in dem ich zu jenem freudigen Zeitpunkt arbeitete. Frisch getraut, hielten sie bei uns ihr Hochzeitsfrühstück ab, natürlich nicht ohne vom Personal neugierig beäugt zu werden. Die Braut strahlte in ihrem Traum von luftigem Leinenweiß mit ihren apfelroten Bäckchen um die Wette und erntete mit ihrer wahrlich famosen Kleiderwahl haufenweise Komplimente. Als sie gerade ihren Wildblumen-Strauß einsammelte, um mit der ganzen Partie zur nächsten Party aufzubrechen, kam sie plötzlich noch einmal auf uns Servier-Mädchen zugetrippelt und grinste: "Zara, gerade im Ausverkauf. Schön günstig!" Wir lachten, eine ganze Spur verblüfft. Das nenne ich mal lässig. Wie viel Wirbel wird normaler Weise um DAS Kleid gemacht?!!
Hochzeitskleider mögen eine Sache für sich sein, verständlicher Weise möchte man nicht in einem Kartoffelsack "Für immer!" sagen. Doch wann kommen all die anderen Prinzessinnen-Outfits zum Einsatz? Wer kauft bloß diese Haute Couture?
Eben die, die es können. Königshäupter, Filmdiven, Scheichbräute und all die anderen privilegierten dicken Brieftaschen dieser Erde. Im Gegensatz zur restlichen Fashion-Branche waren sie es auch, die sich auch während der Wirtschaftskrise weiterhin nicht knauserig zeigten und den Couturiers eine treue Kundschaft blieben - trotz sündhafter Preise. Während die bürgerliche Mittelschicht zur Abendstunde eher das kleine Schwarze hervorkramt, wissen Victoria von Schweden, Julia Roberts und wie sie nicht alle heißen, jede von Hand aufgenähte Paillette anscheinend noch zu schätzen. Dabei soll es auch bleiben.
Denn wenn ich es mir so recht überlege, würde eine Truhe voller Märchenkleider in mein legeres Lebensmuster passen, wie ein Leopard als Hauskatze. Das Prinzessin-Dasein ist nämlich out; bzw. das Leben, das man im Kreise hunderter Angestellter führte und den lieben langen Tag nicht anders verbrachte, als auf seinem Chaiselongue flanierend Törtchen zu essen. Die Frau von heute wird nicht mehr dazu angeregt, Französisch und das Cembalo zu erlernen, um vielleicht eines Tages von einem Prinzen abgeholt zu werden. Kommentare wie "Du Prinzessin!" hallen schon längst negativ nach, klingt die Bezeichnung doch zu sehr nach faul, naiv, oder verwöhnt. Und doch schlummert das Sehnen eines atemberaubenden Auftritts (und das gerne in Valentino, Armani, oder Elie Saab) in jedem waschechten Mädchen. So wie Männer nie nein zu einem schnellen Auto sagen würden, ist das weiße Pferd noch nicht ganz aus dem Gedächtnis der moderne Frau radiert. Vielleicht fährt sie am Morgen wieder im Schlabberpulli U-Bahn, doch am Abend greift sie herzlich gerne doch mal zur Kronjuwele.